Sonntag, 5. November 2006

Interview mit Sir Vival Rüdiger Nehberg

Christian Lautner traf Deutschlands bekanntesten Menschenrechtler und Survival-Experten zum Interview.

Der Sendesaal im hessischen Rundfunk in Frankfurt ist am ersten Novembersonntag mit Leben gefüllt. Rund 700 Leute haben sich zum Weitsichtfestival eingefunden, um sich von den abenteuerlichen Expeditionen der Referenten fesseln zu lassen. Überlebenstraining im Dschungel, kreative Nahrungssuche und der Umgang mit Raubtieren – das Diashow-Festival lässt keine Wünsche offen.
Höhepunkt des Abends ist der Vortrag „Abenteuer Urwald“ von Rüdiger Nehberg. Bilder und Berichte zeigen einen Querschnitt durch sein aufregendes Leben, das mich persönlich seit Monaten fesselt. Meine Neugier wurde durch seine Bücher, Filme und Artikel gestillt und mein Wissensdurst findet an diesem Abend sein Eldorado.

Alles fing damit an, dass ich lernen wollte, wie ich mich artgerecht in der Natur bewege und respektvoll mit Pflanzen und Tieren umgehe. Also kontaktierte ich über die Homepage Nehbergs seine Partnerin Annette Weber. Sie erzählte mir von einem Wildnistraining, das von einer Survival-Schule im Schwarzwald angeboten wird – eine persönliche Empfehlung von Rüdiger Nehberg. Wild entschlossen verbrachte ich, mit kompetenten Trainern und anderen Teilnehmern, drei Tage unter freiem Himmel. Die Natur nahm mich freundlich auf und für einen Moment fühlte ich mich als echter Abenteurer.

Rüdiger Nehberg ist Aktivist für Menschenrechte, Konditor und Überlebenskünstler in einer Person. Fasziniert von so viel Engagement, wurde ich Fördermitglied in Nehbergs Menschenrechtsorganisation TARGET und blieb mit Annette Weber weiter in Kontakt. Eines Tages bot sich nun die Gelegenheit, Rüdiger Nehberg tatsächlich kennen zu lernen. Schnell war die Idee für ein Interview für FACES geboren. Die Eintrittskarten hatte ich schon Monate vorher gekauft und nun ist es endlich soweit.

Ich werde von meinem Kollegen Klaus Hickmann-Rother, von AEGIS MEDIA, und Alexander Groth, Trainer der CARAT ACADEMY, begleitet. Wir treffen Rüdiger Nehberg während der technischen Vorbereitungen für seinen Vortrag. Nach einer kurzen Bekanntmachung suche ich mir einen Platz und bin gespannt, was Nehberg mir nach dem Vortrag erzählen wird.

Nehbergs Vortrag ist ein Feuerwerk aus faszinierenden Bildern und abenteuerlichen Geschichten. Seine Zeit bei den Yanomami, einem brasilianischen Indianerstamm wird ebenso dokumentiert, wie die geheimen Dreharbeiten unter Goldsuchern. Er gab sich zusammen mit dem Dokumentarfilmer Wolfgang Brög als Goldsucher aus und filmte mit versteckter Kamera. Denn 65.000 bewaffnete Goldsucher drangen in das Gebiet der Indianer ein und bedrohten ihre Existenz. Sie rodeten Wälder und nahmen das Land für sich in Anspruch, sie zerstörten die Natur und hinterließen Schutt und Schlamm, dann zogen sie weiter um das nächste Goldsucher-Camp aufzubauen.
Der Film wurde mit dem Titel „Goldrausch in Amazonien“ (ZDF, Reportage) von Greenpeace an alle Sender weltweit verschickt und das Verbrechen wurde öffentlich.
Nehberg unterstützt auch das Volk der Waiapí-Indianer, ebenfalls brasilianische Ureinwohner, und baute dort bereits Krankenstationen. Im Gegenzug zeigten sie ihm essbare Pflanzen und Heilkräuter und bereiteten ihn auf sein nächstes Abenteuer vor – ausgesetzt im Urwald ohne Ausrüstung.

Auch waghalsige Aktionen wie Nehbergs Abseilen vom Helikopter in den brasilianischen Urwald werden gezeigt. Mit Kameraausrüstung und Lendenschurz, aber ohne Vorräte, Messer und Navigationssystem, schlug er sich wochenlang durch den Urwald, bis er schließlich in der Zivilisation ankam.

Zum Schluss stellt Nehberg seine Menschenrechtsorganisation TARGET vor, die sich sowohl für Indianer im südamerikanischen Regenwald, als auch gegen weibliche Genitalverstümmelung einsetzt. Seine Wüstenkonferenzen und die Karawanen der Hoffnung erzielten bereits große Erfolge, weitere Aktionen sind geplant. Davon berichtete Nehberg am 27.11.2006 in der Sendung Johannes B. Kerner.

In einem separaten Raum treffen wir auf Rüdiger Nehberg, der uns nun Rede und Antwort steht.
CL: Gibt es etwas in deinem Leben, das du bereust?
RN: Ja, dass ich nicht schon eher mit all den Dingen angefangen habe. Ich war durch meine Konditorei in Hamburg zu sehr blockiert; irgendwann konnte ich mich dann davon befreien. Aber sonst bereue ich nichts.

CL: Wen oder was bewunderst du?
RN: Leute wie Gandhi, Nelson Mandela, Gorbatschow, die irgendwie etwas Riesiges bewegt haben, obwohl man ihnen das bestimmt nicht zugetraut hätte.

CL: Gibt es einen Abenteurer dem du nacheiferst?
RN: Nein, den hatte ich nie. Ich habe immer meine eigenen Ideen gelebt.

CL: Welches Abenteuer möchtest du gerne noch erleben?
RN: Jetzt gilt es vor allem nur noch das Ziel zu erreichen, dass in Mekka offiziell Genitalverstümmelung bei Mädchen zur Sünde erklärt wird. Das ist erstmal mein nächstes Abenteuer, dann denke ich weiter. Ich habe keine Zeit mehr für etwas anderes im Moment.

CL: Wie gehst du mit Gegnern um?
RN: Die lächle ich an, das ist angeblich die beste Art dem Gegner die Zähne zu zeigen. Wenn es Gegner sind, die ein begründetes Argument gegen mich haben dann kann es sein, dass ich meine Ansichten ändere. Aber wenn sie nur aus Fanatismus und aus Neid Gegner sind, habe ich gar keine Zeit mich mit ihnen zu befassen. Es klaut mir nur meine Restlebenszeit. Mit 71 muss man damit sehr ökonomisch umgehen.

CL: Wie kann ein Unternehmen gestärkt aus Schwierigkeiten hervorgehen?
RN: Ich würde alle Mitarbeiter zusammen trommeln und schauen, was jeder an Ideen hat, die Firma wieder voran zu bringen. Keine Vision ist zu verwegen. Man muss sich erinnern, dass alles von Menschen Gemachte zunächst einmal im Kopf einer einzigen Person entstanden ist. Die hat es dann verstanden, mit der richtigen Strategie, mit Geduld und Glück das Ziel zu erreichen. Jede Partei, Religion, jede Stadt ist so entstanden. Es gibt ein Buch mit dem Titel „Der Kollaps“, das lohnt sich zu lesen. Es ist ein Welt-Bestseller aus den USA und erzählt von Firmen und Völkern die irgendwann entweder einen Fehler oder etwas richtig gemacht haben und dann zugrunde gegangen oder eben expandiert sind. Vielleicht erfährt man auch dort Anregungen.

AG: Du hast unheimlich viel erreicht. Nicht nur, dass du es selber tust, sondern du hast auch andere dazu motiviert, Außergewöhnliches zu leisten. Gibt es dazu eine Empfehlung?
RN: Ja, indem man die Leute teilhaben und nicht den Chef raushängen lässt und Order gibt, sondern dass man sie zu Partnern macht und dass der Erfolg auch ihr Erfolg ist. Wie in meinem Fall mit meiner Lebensgefährtin Annette Weber oder mit den Leuten, mit denen ich bei den Indianern war. Wir waren immer Partner. Ich war allenfalls Primus inter pares, weil ich die Idee hatte. Ich glaube, wenn man Leute beteiligt, sind sie motivierter, als wenn man sie zwingt. Zwang und schlechtes Betriebsklima sind tötende Momente für einen Betrieb. Ich war gestern auf einem ähnlichen Dia-Festival wie hier, dort liefen viele freiwillige Helfer herum, junge Menschen mit roten Jacken, die begeistert waren, die für die Sache keinen Cent bekommen. Sie machen das, um in die Atmosphäre des Reisens einzutauchen, um Fremde kennen zu lernen, um selbst Motivation zu finden. Das finde ich super. Bezahlte bringen den Ehrgeiz oft nicht auf. Da wird auf die Uhr geschaut und die Restzeit bis zum Feierabend errechnet.

KH: Hast du dir schon mal Gedanken über deinen Tod gemacht?
RN: Laufend! Weil er ja immer näher kommt.

KH: Und wo würdest du dich in diesem Fall zur Ruhe setzen?
RN: Wenn es qualvoll wird, werde ich mich töten. Ob ich es dann tue, weiß ich noch nicht. Ich habe es jedenfalls vorbereitet. Wenn ich noch wählen kann, habe ich zwei Orte auf der Welt, die ich aber nicht verrate, wo ich mich in der Natur zurückziehen würde. Irgendwo in Afrika oder im Urwald, dort habe ich meine geheimen Refugien und werde dem Ende gelassen entgegen sehen. Im Moment bin ich jedoch so voll mit Plänen, dass ich noch gar keine Zeit habe, mich jetzt schon von der Natur recyceln zu lassen. Rechnerisch bin ich ja bald dran. Als ich jünger war, habe ich immer gedacht: „Oh Gott! Wie muss das sein, wenn man 70 oder 80 ist? Denkt man dann nur noch an den Tod?“ Nun ist es soweit. Aber ich nehme es gelassen hin, weil es jeden erwischt, ob Tier oder Pflanze. Nun bin ich eben dran.

KH: Das beruhigt einen, oder?
RN: Ja, das beruhigt sehr und dass davon niemand verschont wird. Du auch nicht.
Sitzt man Rüdiger Nehberg gegenüber, spürt man förmlich seine unbändige Energie und Kraft, die beispiellos ist für einen 71 Jährigen, der zahlreiche Überfälle überlebt hat und trotz eigener Konditorei und Familie regelmäßig die Welt bereiste.

Zum Abschied geben wir Rüdiger Nehberg noch eine Flasche Schwedenbitter mit auf den Weg, damit er auch seine nächsten Abenteuer spielend meistern kann. Inspiriert und dankbar, diesen faszinierenden Menschen kennen gelernt zu haben, mach ich mich auf den Weg nach Hause, um mich wieder auf das Abenteuer „Büro“ vorzubereiten.